24h Le Mans: Porsche gewinnt Überlebenskampf

24 STUNDEN LE MANS Toyota scheiterte auch beim 19. Anlauf und Porsche gewann trotz eines einstündigen Reparaturstopps zum 19. Mal. Die Gesamtsieger hatte nach vier Stunden niemand mehr auf der Rechnung. Die drei Stars Buemi, Jani und Fässler hatten wenig Grund zur Freude. Mit Porsche und Toyota waren zwar nur zwei Hersteller mit insgesamt fünf […]

Der Porsche 919 Hybrid von Schlussläufer Timo Bernhard, Earl Bamber und Brendon Hartley wird als Sieger abgewinkt. 20 Stunden vorher hatte dieses Team niemand mehr auf der Erfolgsrechnung… (Foto: ACO).

Mit Porsche und Toyota waren zwar nur zwei Hersteller mit insgesamt fünf Hybridprototypen der Klasse LMP1-H am Start. Alle bekundeten über die längste Distanz jedoch grössere Probleme. Und das sorgte vor rund 258 000 Zuschauern über alle Tage für ein ungemein dramatisches und spannendes Rennen mit unerwartetem Ausgang.

Nach dreieinhalb Stunden musste am #2 Porsche das Hybridsystem zur Rückgewinnung der Bremsenergie an der Vorderachse ausgetauscht werden. Durch die einstündige Reparatur fiel er nach viereinhalb Stunden an die 56. Gesamtposition von 60 gestarteten Teams zurück. Rückstand: 18 Runden auf das führende Quartett mit drei Toyotas und dem an zweiter Stelle liegenden #1 Porsche von Neel Jani, Nick Tandy und André Lotterer.

Der erste der fünf komplexen Hybridprotoypen schien aus der Entscheidung um den Gesamtsieg gefallen zu sein. Le Mans schreibt jedoch jedes Jahr seine eigene Geschichte. Und wie im Vorjahr nahm sie bei der 85. Auflage dieses faszinierenden Langstreckenrennens in der Folge unglaubliche Wendungen.

Toyota erlebte eine weitere bittere Enttäuschung. Nach zweistündiger Reparatur brachte Sébastien Buemi sein Auto noch als Neunter ins Ziel.

Sébastien Buemi: Ein Pokal und schnellste Rennrunde
Kurz vor Ende der 8. Stunde benötigte der #8 Toyota TS050 Hybrid von Sébastien Buemi, Anthony Davidson und Kazuki Nakajima aus demselben Grund wie vorher der #2 Porsche eine Reparatur. Weil das vordere Hybridsystem beim Toyota schwieriger als beim Porsche 919 Hybrid auszutauschen ist, betrug der Zeitverlust rund zwei Stunden.

Sébastien Buemis Traum von der Revanche für den 2016 so knapp entgangenen Sieg war damit ausgeträumt – dieser Rückstand war auf keinen Fall mehr aufzuholen. Der Waadtländer fuhr sich bei der Aufholjagd, die sein Auto noch bis auf Gesamtrang 9 vorbrachte, mit der schnellste Rennrunde in der 23. Stunde den Frust und die Enttäuschung von der Seele. Zum Trost gab es noch eine Trophäe für den zweiten LMP1-Klassenrang.

Auch der mit seiner fantastischen Qualifikationsrunde in die Annalen eingegangene Japaner Kamui Kobayashi nützte der pure Speed des 1000 PS starken Toyota nichts. Gegen Ende der 10. Stunde rollte der führende Wagen von Kobayashi, Conway und Sarrazin mit Kupplungsschaden aus.

Toyota: Fast gleiches Drama wie im Vorjahr
In der Toyota-Garage herrschte ähnliche Fassungslosigkeit wie vor einem Jahr – noch hatte man aber ein erstmals eingesetztes drittes Auto im Rennen, das mit Rundenrückstand auf die neuen Leader Jani, Lotterer und Tandy an zweiter Stelle lag.

Doch wenige Minuten nach dem zweiten folgte der dritte Schock: Nicolas Lapierre kollidierte mit dem LMP2-Oreca von Simon Trummer. Nach Aussage des Berners, dessen ausgezeichnetes Rennen (vierter Zwischenrang in der Klasse) nach einem heftigen Einschlag in die Mauer beendet war, war es die Schuld des in Genf lebenden Franzosen.

Der CH/F-Doppelbürger versuchte sich derweil an die Boxen zu schleppen, doch waren die Schäden an der Hinterachse und am Hybridsystems zu gross. Um 1.50 Uhr in der Nacht war hiermit klar, dass Toyota wieder nicht gewinnen wird. Dafür schien Neel Jani mit seinen zwei diesjährigen WM-Stammpartnern zum zweiten Triumph in Folge zu fahren. Ihr Vorsprung betrug schlagartig 8 Runden, da hinter ihn nur noch LMP2-Teams folgten.

Nach dem Ausfall der beiden führenden Toyota lag der #1 Porsche von Neel Jani von nachts um 1 bis kurz nach 11 Uhr am Sonntag mit Riesenvorsprung an der Spitze. Doch die schonende Fahrweise und perfekte Boxenstopps halfen am Ende nichts (Foto: ©Horst Bernhardt).

Neel Jani: Ausfall nach Riesenvorsprung
Trotz vorsichtiger und materialschonender Fahrweise überstand auch ihr Porsche 919 Hybrid bei hochsommerlichen Temperaturen die volle Distanz nicht. Mit 13 (!) Runden Vorsprung, was mehr als 170 Kilometern entspricht, fiel ihr Auto in der 21. Stunde einem Schaden am Primärantrieb (sinkender Öldruck im 4-Zylinder-Verbrennungsmotor) zum Opfer. „Wir wollten das Auto ins Ziel tragen… „, seufzte der Vorjahressieger. „Diesmal hatten wir nicht das Glück vom letzten Jahr.“

Schnelle LMP2-Autos: Rebellion kämpften mit seinen beiden Oreca-Gibson um den Klassensieg und brachte am Ende die #13 auf dem dritten Gesamtrang ins Ziel (Foto: Horst Bernhardt).

Nun lagen plötzlich lauter LMP2-Autos an der Spitze. Diese waren mit ihren 600 PS starken 4-Liter-V8-Einheitsmotoren von Gibson im Schnitt zwar keine Sekunde pro Kilometer langsamer, mussten jedoch alle zehn Runden zum Nachtanken an die Boxen. Die fast 1000 PS starken LMP1 nur alle 12 bis 14 Runden.

Schon nach dem Doppelausfall der Toyota hatten Hochrechnungen ergeben, dass das zweite Porsche-Team im Idealfall noch hinter das führende Schwesterteam auf den zweiten Rang vorrücken konnte. Daraus wurde am Ende der 20 Stunden zuvor noch für unmöglich gehaltene Sieg. Der 19. für Porsche, der zweite für Timo Bernhard und Earl Bamber, der erste für Brendon Hartley. Zwei Neuseeländer auf dem Gesamtsiegerpodium, das gab es vorher nur 1966 mit Chris Amon und Bruce McLaren auf Ford GT 40.

Unerwartetes Team auf dem Gesamtsiegerpodium: Der Genfer Mathias Beche (2. von links) jubelt mit seinen Teampartnern Piquet und Heinemeier-Hansson sowie dem britischen Teammanager Bart Hayden (Foto: Horst Bernhardt).

Dritter Gesamtrang für den Genfer Mathias Beche
Der lange führende Oreca-LMP2 von Jackie Chan Racing kam schliesslich mit einer Runde Rückstand auf den zweiten Gesamtrang, also so weit vorne, wie noch nie ein Auto aus dieser Klasse. Teilweise lagen hier die beiden Oreca-Gibson von Rebellion auf den ersten beiden Plätzen.

In der zweiten Rennhälfte summierten sich ihre Probleme und Problemchen, doch reichte es für das Trio mit dem Genfer Mathias Beche, dem Brasilianer Nelson Piquet jr. und dem Dänen David Heinemeier Hansson zum zweiten Klassenrang und den dritten im Gesamtklassement. Der Waadtländer Hugo de Sadeleer kam mit seinem LMP2-Team beim ersten Start in Le Mans auf den sechsten Gesamtrang, der Neuenburger Jonathan Hirschi auf den achten.

Einen Podestplatz im Visier hatte auch Marcel Fässler, der dieses Jahr bei Corvette Racing in der ebenfalls stark besetzten GT-Klasse fuhr. Bis kurz vor Schluss des ersten Renndrittels lag er auf Kurs, ehe die Corvette mit dem Amerikaner Tommy Milner am Steuer bei einem Dreher in die Mauer beschädigt wurde.

Die Reparatur warf sein Team zurück. Bei der enormen Leistungsdichte in dieser Klasse resultierte nur noch ein 8. Rang unter 13 GT-Werksteams. Der Sieg ging nach einem dramatischen Finish, bei dem die zweite Corvette im direkten Duell von P1 auf P3 zurückfiel, an einen Aston Martin und der zweite Platz an einen der vier Ford GT.

Zum zweiten Mal nach 2009 startete Marcel Fässler in Le Mans mit Corvette Racing. Alles lag drin, doch am Ende wurde es nur ein 8. Klassenrang (Foto: Horst Bernhardt).

Kampf um WM-Titel neu lanciert
Dank der doppelten WM-Punkte für die vierfache Distanz eines üblichen 6-Stunden-Rennens übernimmt Porsche in der Herstellerwertung die Führung von den zweifachen Saisonsiegern Toyota. Auch rückt das Siegerteam in der Fahrerwertung an dem bisher ungeschlagenen Trio mit Buemi vorbei auf Platz 1, doch sind seine WM-Chancen bei noch sechs ausstehenden 6-Stunden-Rennen absolut noch intakt.

Mit dem Ausfall schwinden für Neel Jani hingegen die Chancen auf eine erfolgreiche Titelverteidigung in der Fahrer-WM. Im letzten Jahr brachte Le Mans für den Seeländer die Wende, indem nach dem Triumph beim grössten Langstreckenrennen der Welt nicht mehr viel lief. Dank des Punktepolsters aus Le Mans wurde er dennoch Weltmeister.

Vielleicht ist es nun umgekehrt. Porsche tritt fortan mit einem komplett neuen Aeropaket an, ausgelegt auf mehr Abtrieb für kürzere Strecken. Nach den ereignisreichen 24 Stunden von Le Mans 2017 sollte in diesem Sport sowieso niemand mehr eine Prognose wagen.

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