Renault-Werk Palencia: So werden in Zukunft Autos gebaut

In der Autofabrik der Zukunft wacht KI darüber, dass der Kundschaft später Autopannen erspart bleiben. Bei Renault ist diese Zukunft bereits Realität – um China Paroli zu bieten.

Fotos: Renault

Hören wir doch mal genau hin. Wir stehen in der Endkontrolle des Renault-Werks Palencia in Nordspanien. Eine Mitarbeiterin führt Türschliess-Tests durch: «Wumm» fällt die Fahrertür satt ins Schloss. So soll das sein, so soll das tönen – ausser dem «Wumm» hören wir nichts. Plötzlich gibt die Künstliche Intelligenz (KI), die via Mikrofon zuhört, Alarm: Die KI-Audioanalyse zeigt ein von Menschen kaum wahrnehmbares Scheppern. Des Rätsels Lösung: In der Tür liegt ein winziger loser Plastikclip.

Am Band wachen Sensoren und KI darüber, dass Fehler sofort behoben werden.

Früher wäre das superleise Scheppern erst irgendwann im Laufe der Kilometer dem Käufer des Autos aufgefallen, der sich geärgert und dann die Garage zur Fehlersuche aufgeboten hätte. Jetzt wird der Fehler behoben, ehe das Auto aus dem Werk rollt: Renault spart an Garantiekosten und der Kunde Nerven. Und das nicht nur bei den Autos aus dem Werk Palencia (aus drei spanischen Werken kommen 14 Prozent aller Renaults), wo gut 600 Roboterkarren autonom herumsausen und Mitarbeitende demnächst zum Heben schwerer Lasten in Exoskelette wie aus einem Science-Fiction-Film schlüpfen: In allen Renault-Werken gibt es künftig KI-Checkpoints wie die erwähnte Türgeräusch-Kontrolle. Allein im Werk Palencia sind es fast 1000 Checkpoints.

KI checkt jeden Radbolzen
Nur ein paar Beispiele, wozu das gut ist: 3D-Kameras und KI gucken, ob Steckerkupplungen bis auf den letzten Millimeter eingerastet sind, ehe die Kabel im Armaturenbrett verschwinden – damit sie nicht viele Kilometer weiter ein Schlagloch löst. Radbolzen werden gescannt: Kein Auge sieht, ob eine Fünfteldrehung fehlt – aber Kamera und KI schon. Am Spaltmasse-Checkpoint erleben wir live einen Fehler an einem der täglich 555 produzierten Autos: Die Bandbeleuchtung wird rot, das Band stoppt. An einem Rafale hat die Sensorik eine nicht perfekt eingepasste Tür entdeckt. Ein Monitor zeigt die Stelle, die KI schlägt vor, wer den Fehler wie beheben soll. Ein Arbeiter justiert die Tür nach – alles grün, das Band läuft wieder. Früher wäre es erst in der Endkontrolle oder gar nie bemerkt worden. «Nun wird es sofort behoben», erläutert Montagechefin Lucía Martínez Villalba.

Im Kontrollraum von «Plant Connect» sind alle Renault-Werke und deren Status live ersichtlich.

Werke miteinander vernetzt
Obendrein wird die korrigierte Tür im sogenannten Metaverse gespeichert: Jede Schraube, jede Tür, jedes Auto hat einen virtuellen Zwilling. Und alle 25  Renault-Werke sind vernetzt. Das heisst: Statt Excel-Tabellen zu wälzen, sieht das Management in Echtzeit auf den Monitoren: Liegen wir und andere Werke im Plan? Fehlen irgendwo Teile? Welches Land hat heute wie viele Renault 5 bestellt? Wo steht ein Renault in der Werkstatt und warum? Mehr noch: Das System kann Fehler nicht nur live erfassen, sondern voraussehen: Fehlt in Werk X die Zierleiste Y für einen morgen zu bauenden Captur, gibt die KI den Alarm und somit Gelegenheit zur Abhilfe, ehe das Problem zu einem solchen wird. «Wir sind jetzt 20 Prozent pünktlicher mit den Auslieferungen», sagt Eric Marchiol, Senior Industry & Quality Digital Officer, und betont die gesteigerte Produktqualität. Aber ist das 730 Millionen Franken an Investitionen wert, die Renault in die selbst entwickelten KI-Systeme und ins «Plant Connect» gesteckt hat? «Ein Auto minderer Qualität wird nicht gekauft», sagt Marchiol.

Anzahl der Pannen halbiert
Zudem macht das System Kosten- und Zeitspar-Potenziale ausfindig, zum Beispiel durch eine Reduktion der Anzahl Teile. Ein Megane besteht aus 1080 Teilen, ein Renault 5 bereits nur aus 825, und im 2026er Twingo sollen es 650 sein. Ein Auto wird bei Renault nun binnen zwei statt vier Jahren entwickelt und ein Renault 5 in zehn Stunden gebaut. Zum Vergleich: Andere Marken brauchen 15 bis 25 Stunden. Auch dank Hightech geht’s schneller. Zum Beispiel hat Renault als erster aller grossen Hersteller ein neues Lackierverfahren für Zweifarblackierung eingeführt. Bisher hiess Bicolor: erste Farbe, trocknen, abkleben, zweite Farbe. Das dauerte Stunden. Jetzt tragen Roboter am Renault 4 millimeterexakt zwei Farben in einem Rutsch nebeneinander auf – in sechs Minuten.

Doch wozu das alles? Um China davonzufahren. «Wir müssen uns schnell bewegen, es ist ein kompetitiver Markt», so José-Martin Vega, der Industrial Manager von Renault Spanien. «Wir haben viel von den chinesischen Wettbewerbern gelernt und arbeiten intensiv an der Qualität.» Sympathisch offen räumt Renault ein: Neu sind die Sensoren und die KI nicht, das mache China längst so. Etwas Neues sei jedoch die Vernetzung aller Werke. Die Garantiefälle seien seither um die Hälfte zurückgegangen. Oder auf gut Deutsch: Ein neuer Renault hat halb so viele Pannen.

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