Indianapolis Oerlikon: Wenn auf der alten Radrennbahn die Motoren heulen

Auf der Offenen Rennbahn in Oerlikon findet bald wieder ein weltweit einzigartiges Spektakel statt: Indianapolis Oerlikon – das nächste Mal am 22. Juli 2025.

Offene Rennbahn Oerlikon Saison 2024 am 23 Juli, 2024 auf der Offene Rennbahn Oerlikon, Oerlikon, Schweiz. Foto: CuPNet Photo Peter Mettler

Die 500 Meilen von Indianapolis – oder wie sie kurz heissen: Indy 500 – sind quasi der heilige Gral des Automobilsports. Auf dem 2,5 Meilen langen Oval (genannt: der Nudeltopf) mit vier überhöhten Kurven wird das bekannteste Autorennen der Welt ausgetragen. 500 Meilen bis zum Motorsporthimmel, Tempi weit über 300 km/h, 300’000 Zuschauer auf den Tribünen – und Tradition bis zum Abwinken: Der Sieger erhält eine Flasche Milch. Der diesjährige Sieger Alex Palou schwärmte: «Es ist die beste Milch, die ich je getrunken habe.»

Das Velodrom wird zur Autorennstrecke»
Einmal im Jahr gastiert dieser Ausnahmeevent aus dem mittleren Westen der USA auf der Offenen Rennbahn in Zürich Oerlikon – zumindest im übertragenen Sinne. Der Mann, bei dem auf der Rennbahn die motorsportlichen Fäden zusammenlaufen, heisst Georg Kaufmann. Der passionierte Rennfahrer (81) ist seit der erstmaligen Austragung 2002 für die Organisation (mit-)verantwortlich. Was heute vermutlich vielen gar nicht bewusst ist: Auf der Offenen Radrennbahn, mit Baujahr 1912 das älteste noch genutzte Sportstadion der Schweiz, wurden früher nicht nur Velorennen, sondern tatsächlich auch Wettkämpfe für Rennsportwagen ausgetragen – wie ein Plakat aus dem Jahr 1946 beweist, das Georg Kaufmann einst in London ersteigert hat.

Offene Rennbahn Oerlikon Saison 2024 am 23 Juli, 2024 auf der Offene Rennbahn Oerlikon, Oerlikon, Schweiz. Foto: CuPNet Photo Peter Mettler

Die spezielle Umgebung erfordert Fahrgefühl und Timing. Die Belastungen für Material und Fahrer sind in den steilen Kurven nicht zu unterschätzen. Deshalb legen Kaufmann und seine Crew grössten Wert darauf, dass nur erfahrene Pilot(inn)en am Anlass teilnehmen: «Wir lassen ausschliesslich Fahrerinnen und Fahrer zu, die regelmässig Rennen fahren und sich solche Situationen gewohnt sind». Schliesslich sind bis zu acht Fahrzeuge gleichzeitig auf der Bahn – und dies mit Tempi von bis zu 100 km/h.

Verzichtserklärung als Bedingung
Rennleiter Kari Marty wirft ein wachsames Auge auf alle Teilnehmenden und deren Herkunft. Ausserdem muss von jedem Fahrer eine Verzichtserklärung unterschrieben werden, dass er im Schadensfall auf rechtliche Forderungen verzichtet. Wenn der Anlass in diesem Jahr am 22. Juli (mit Ausweichdatum am 24. Juli) das 23. Mal stattfindet, werden viele historische Fahrzeuge zu sehen sein, die jedes Motorsportherz höherschlagen lassen. 2024 beispielsweise konnten die Besucher diverse Vorkriegs-Rennwagen wie den Alfa Tipo B P3 von 1934, die Bugatti 37/35 B und T35 B aus den Jahren 1927 und 1929 sowie einen Lagonda M-45 Le Mans von 1934 bewundern, aber auch viele Renn- und Sportwagen aus der Nachkriegszeit und den 1950er- und 60er-Jahren. Insgesamt werden 60 Boliden ihre Runden drehen – und dies in drei Zeitfenstern (18.00 bis 18.30 Uhr; 19.30 Uhr bis 20.00 Uhr; sowie 20.30 bis 21.00 Uhr).

Offene Rennbahn Oerlikon Saison 2024 am 23 Juli, 2024 auf der Offene Rennbahn Oerlikon, Oerlikon, Schweiz. Foto: Credit CuPNet Photo Peter Mettler

Neben den Rennautos sind auch Werksrennsporträder zu sehen, die ältesten aus den 1920-er Jahren. Vier der neun Gruppen bestehen aus zweirädrigen Maschinen. Für diesen Teil des Events ist der jüngere Bruder von Georg Kaufmann – Jo Kaufmann – zuständig. Er ist auch mitverantwortlich, dass der Zeitplan exakt eingehalten wird. Damit will man die Lärmbelastung im Quartier so klein wie möglich halten: «Nach 21.00 Uhr ist fertig mit den lauten Motoren», sagt Kaufmann.

Der Radsport im Zentrum
Gleichzeitig legt er Wert darauf, dass auch an diesem Abend normaler Rennbetrieb herrscht: «Es finden Radprüfungen und Steherrennen statt – schliesslich soll der Sport auch an diesem speziellen Anlass nicht zu kurz kommen.» Damit bezieht sich Kaufmann auf die Ursprungsidee des Indianapolis-Meetings. Der frühere TV-Reporter und grosse Rennbahn-Freund Willy Kym suchte einst eine Möglichkeit, wie man die leicht verstaubte Sportanlage einem breiteren und neuen Publikum wieder in Erinnerung rufen konnte. Kym, ein Mann mit breiter Vista und grosser Sportaffinität, trugt die Idee einer Oldtimer-Exhibition an Rennsport-Romantiker Bernhard Brägger heran.

Offene Rennbahn Oerlikon Saison 2024 am 23 Juli, 2024 auf der Offene Rennbahn Oerlikon, Oerlikon, Schweiz. Foto: Credit CuPNet Photo Peter Mettler

Wichtige finanzielle Stütze
Und geboren war der Event. Kaufmann, der zu Beginn als Fahrer teilnahm, erinnert sich: «Zur ersten Austragung kamen 1200 Zuschauer. Seither ist der Anlass kontinuierlich gewachsen.» Heute sorgt er mit fast 6000 Zuschauern für den jährlichen Publikumsrekord auf der Rennbahn. Und weil an diesem Abend der doppelte Eintrittspreis (20 Franken) verlangt wird, leistet die Oldtimer-Show einen entscheidenden Beitrag zur Finanzierung der Rennbahn während des gesamten Jahres. Und dies ist exakt im Sinne von Organisator Kaufmann: «Jeder Franken, den wir einnehmen, geht an die Rennbahn zurück.» Kaufmann schwärmt von der «magischen Atmosphäre» dieses Ortes – gerade auch in Kombination mit den heulenden Motoren der historischen Rennwagen: «Die Stimmung im Oval lässt sich kaum beschreiben. So etwas gibt es weltweit sonst nirgends.»

Taveri, Bugatti und der Junghans-Chef
Dazu gehören immer wieder prominente Besuchende: Die Schweizer Motorrad-Legende Luigi Taveri gehörte mit ihren alten Maschinen zu den Stammgästen. 2019 drehte mit Caroline Bugatti eine Enkelin des legendären Autoherstellers Ettore Bugatti in Oerlikon ihre Runden. Und die heimische Rennsportprominenz gibt sich sowohl auf vier Rädern (Marc Surer, Marcel Fässler) bzw. zwei (Randy Krummenacher) immer wieder die Ehre. 2025 haben Kaufmann und Co. ausserdem einen ganz besonderen Mann auf der Gästeliste: Arturo Merzario. Der heute 82-jährige Italiener fuhr in den 1970-er Jahren acht Saisons in der Formel 1. Ein Sieg blieb ihm zwar verwehrt. Gleichwohl hat er seinen Platz in der Motorsportgeschichte auf ewig auf sicher. Merzario gehörte zu jenen Fahrern, die am 1. August 1976 Niki Lauda nach dessen verheerenden Unfall auf dem Nürburgring das Leben retteten. Der Österreicher war in seinem brennenden Auto gefangen. Merzario stoppte seinen Wagen – und befreite Lauda. Auch deshalb ist er der perfekte Ehrengast am 22. Juli 2025 auf der Offenen Rennbahn in Zürich Oerlikon. Solidarität, Loyalität und echter Sportgeist stehen hier über allem. Sonst würde es diesen grandiosen Ort schon lange nicht mehr geben.

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