Christian Bach: «Es braucht synthetische Treibstoffe im grossen Stil»

HINTERGRUND Für viele kann es nicht schnell genug gehen mit dem Verbot für Verbrennungsmotoren. Dabei wird missachtet, dass alleine mit der Elektrifizierung der Autoantriebe das Klimaziel für 2050 nicht zu erreichen ist.

synthetische Treibstoffe
Christian Bach: «Allein mit Elektromobilität schaffen wir die CO2-Ziele ebenso wenig wie allein mit synthetischen Treibstoffen. Deshalb braucht es beides.»

Wie von Elektrolyseanlagenbauer Thyssen Krupp zu vernehmen ist, laufen derzeit in den USA, Brasilien, Niederlanden und Saudi-Arabien bereits mehr als 100 Pilotprojekte zur Herstellung von grünem Wasserstoff. AUTOINSIDE, das Schweizer Fachmagazin der Garagisten, sprach mit Christian Bach, Abteilungsleiter Fahrzeugantriebssysteme bei der Empa in Dübendorf, einem der renommiertesten Experten für alternative Antriebe.

Welches Szenario der Antriebe entwerfen Sie für 2035?

Christian Bach: In der Schweiz könnte ein hoher Elektroanteil möglich sein, in weiten Teilen Europas ist dies aufgrund der teils wesentlich schlechteren Stromnetze unklarer. Eine Studie der Uni Genf und dem Netzwerk BKW hat 2019 ergeben, dass es alleine in der Schweiz Investitionen von elf Milliarden Franken braucht, um die bereits guten Verteilnetze zu ertüchtigen. Anderswo ist der Ausbaubedarf grösser. Ich gehe daher davon aus, dass europaweit selbst bei Personenwagen auch nach 2035 ein Antriebsmix angeboten wird. Bei Nutzfahrzeugen sowieso.

Warum setzen Politik und Autoindustrie vor allem auf Elektro?

Aufgrund des geplanten starken Ausbaus der erneuerbaren Stromproduktion ist der Umstieg auf die direkte Nutzung von Elektrizität, wo immer möglich, sinnvoll und logisch. Es ist aber nicht so, dass Politik und Autoindustrie sich alleine auf die E-Mobilität ausrichten. Es gibt viele Programme für Wasserstoff sowie für synthetische oder biogene Treibstoffe. Die EU beispielsweise diskutiert ambitionierte Beimischungsraten.

Braucht es für den Klimaschutz synthetische Treibstoffe?

Gemäss den Energieperspektiven 2050+ des Bundesamtes für Energie benötigt die Dekarbonisierung des Strassenverkehrs in der Schweiz im Jahr 2050 in etwa gleich viel synthetische Treibstoffe wie erneuerbare elektrische Energie – nämlich jährlich je rund 15 Terawattstunden, kurz TWh, beziehungsweise 1,5 Milliarden Liter Dieseläquivalent. Dazu kommt der Luftverkehr mit weiteren 15 bis 20 TWh. Zudem werden synthetische Treibstoffe wohl auch für die Dekarbonisierung industrieller Hochtemperaturprozesse unverzichtbar sein – heute rund 20 TWh.

Die Antwort lautet deshalb: Ja, es braucht synthetische Treibstoffe – im grossen Stil. Diese sind zwar ineffizient in der Herstellung, aber trotzdem notwendig, denn die Welt hat global kein Energie-, sondern ein CO2-Problem. Sie werden aus Wasserstoff und CO2 hergestellt. Bei der Nutzung entsteht nur so viel CO2, wie zuvor für deren Herstellung aus der Atmosphäre bezogen wurde. Entscheidend ist, wie der Wasserstoff hergestellt wird. Wird dafür erneuerbare Energie eingesetzt, resultiert eine hohe CO2-Reduktion. Wird der Wasserstoff fossil hergestellt, kann man auch gleich fossil fahren. Das ist aber beim Strom für die Elektromobilität auch so.

Die EU plant ein Verbrennerverbot. Ist das der richtige Weg?

Ja, falls dieser Weg zu Ende gegangen wird. Wie gesagt: Ich erachte es als unwahrscheinlich, dass ein Verbrennerverbot in Europa für 2035 voll umsetzbar ist. Um das 2050er-Ziel zu erreichen, ist es bei der typischen Fahrzeuglebensdauer von 15 Jahren jedoch nötig, dass ab 2035 keine Fahrzeuge mehr auf die Strasse kommen, die fossile Energie nutzen. Zudem muss der Weltbestand von 1,4 Milliarden verbrennungsmotorischen Fahrzeugen weg von fossilen Treibstoffen. Allein mit Elektromobilität schaffen wir die CO2-Ziele ebenso wenig wie allein mit synthetischen Treibstoffen. Deshalb braucht es beides.

Kann die Produktion mit vertretbarem Energieaufwand erhöht werden?

Die auf synthetischen Treibstoffen beruhende Mobilität ist etwa gleich teuer wie Elektromobilität. Das heisst: Synthetische Treibstoffe könnten mit den gleichen Massnahmen auf den Markt gebracht werden – also der Anrechenbarkeit der CO2-Minderung und Mineralölsteuer- und LSVA-Befreiung während der Markteinführung. Technologisch und energetisch ist für die industrielle Herstellung synthetischer Treibstoffe praktisch alles bereit. Noch fehlt aber die Investitionssicherheit. Mit den europäischen Vorgaben für eine Beimischquote ändert sich das aber gerade. Wir gehen davon aus, dass synthetische Treibstoffe im Sonnengürtel der Erde hergestellt werden. Dort hat man pro Quadratmeter Fläche die doppelte Sonneneinstrahlung und riesige brachliegende Flächen.

Sehen Sie eine Dieselzukunft – und welche Rolle spielt Biogas als Treibstoff?

Ohne erneuerbare Treibstoffe haben Verbrenner keine Zukunft – allerdings gibt es Anwendungen im Langstrecken- und Lastbetrieb, bei denen man noch Jahrzehnte nicht auf Dieselmotoren verzichten kann. Diese Anwendungen dürfen nicht fossil bleiben, wenn wir die Klimaziele erreichen wollen. Biogas ist eine komplexere, aber oft unterschätzte energetische Ressource. Es gibt kaum ein eindrücklicheres Upcycling als die Umwandlung von Grüngutabfällen und Gülle in Treibstoff. Biogas erlebt zurzeit im Nutzfahrzeugbereich einen Boom, wird allerdings von starren LSVA-Regulierungen eingebremst.

agvs-upsa.ch

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